HILFE!!! – HILFE!!! – HILFE!!!
2025: Vier Jahre später hat sich für Menschen mit Behinderung absolut nichts verändert.
Ein Gastkommentar von Eva Brandeis
Wenn Arm & Beine dem Willen nicht folgen, braucht man im Alltag Hilfe, so auch Silke Kropacek aus Kirchberg/Walde. Die Hilfe dünnt jedoch immer mehr aus. Volksanwalt sieht Land in Pflicht.
29 Jahre ist es her, seit die Friseurin Silke Kropacek (damals 31) bei einem Autounfall so übel zugerichtet wurde, dass sie im Spital schon totgeschrieben war. Sie ist stark geblieben, obwohl sie Hände und Beine bis heute so gut wie nicht bewegen kann und im Alltag auf „persönliche Assistenten“ angewiesen ist. Sie hat als Gründerin der Selbsthilfegruppe „Anders“ jahrelang um das Recht von Menschen mit Behinderung auf ein selbstbestimmtes Leben gefochten. Im Schatten der Not in Gesundheits-, Pflege- & Sozialberufen verlässt sie langsam die Kraft.
Wenn Pflegeheime Stationen schließen müssen, 24-h-Agenturen ihre Dienste nicht abdecken können und Hauskrankenpflege-Dienste Aufnahmestopps verhängen, dann werde nämlich die Luft in den schlechter bezahlten Bereichen noch dünner. Für viele sei die Lage unzumutbar geworden, klagt die Waldviertlerin angesichts jüngster „5 nach 12“-Proteste an: „Es gibt Tage, an denen niemand für einen da ist.“
Mit 22,50 Euro die Agentur und die Assistenz einkaufen zu können, das stelle ich mir schwierig vor.“ bernhard achitz Volksanwalt
Selbstbestimmte Lebensführung ist Menschenrecht
Verantwortlich sei die Politik, sagt die 56-Jährige, die zum Zeitpunkt des Unfalles mit Gatte und drei Kids in Schrems wohnte, nun alleine in Kirchberg/Walde lebt. Sie erinnerte Grünen-Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein via Mail an die UN-Behindertenrechtskonvention, die Behinderten eine unabhängige, selbstbestimmte Lebensführung zuerkenne, nannte Voraussetzungen. „Antwort kam keine.“ Kropacek: Das Bedürfnis nach Selbstbestimmung auch im Alter steige, zudem spülen Pensionierungswellen geburtenstarker Jahrgänge Menschen aus dem Arbeitsmarkt, die eines Tages selbst auf Unterstützung angewiesen sein können. Die Nachfrage werde rapide mehr.
Wo liegt das Problem?
„Wir haben kein Auffangnetz, keinen Ansprechpartner und keinen Rechtsanspruch auf Assistenz“, erzählt sie. Finde sich niemand, der einen unterstützt, hat man Pech. Seit September habe sie fast alle Nächte im Rollstuhl verbracht, weil nicht einmal jemand zu finden war, der ihr ins Bett geholfen hätte: „Manchmal bin ich 48 Stunden alleine, muss dringend nötige Arzt- und Therapietermine absagen.“ Das schadet ihr mental, weil ihr daheim die Decke auf den Kopf fällt, aber auch körperlich.
Es gehe aber nicht um sie alleine, sondern um ein grundlegendes Problem. Eine Freundin lebe in einer Familie. Bloß: „Es ist eine Abhängigkeit, aus der es kein Entrinnen gibt. Betroffene trauen sich sehr wenig.“
Warum nicht einfach ins Heim?
Die Antwort auf eine solche Frage könne jeder bei sich selbst finden, warnt Kropacek: „Stell dir vor, du könntest Arme und Beine von einem Tag auf den anderen nicht mehr bewegen. Möchtest du in ein Heim? Oder möchtest du deine Selbstbestimmung bewahren? In dem Fall brauchst du Menschen, die dich unterstützen, damit du leben kannst. Du wirst wen brauchen, der dir die Funktion von Arm & Bein abnimmt – genau dann, wenn du es möchtest.“ Das sei der große Unterschied zu Pflege und Betreuung. Assistenten übernehmen Arbeiten in Haus und Garten, Besorgungen wie den Einkauf, Transporte zu Ärzten oder Therapien.
Wer kriegt wie viel persönliche Assistenz?
Ein Antrag kann in Niederösterreich ab Pflegestufe fünf gestellt werden, aus Kropaceks Sicht besteht Bedarf bereits ab Stufe drei. Sie selbst erhält vom Land NÖ 270 Stunden im Monat zugesprochen, die sie mit Selbstkostenanteil einlösen kann, sagt sie. Darüber hinaus Gehendes ist selbst zu zahlen.
Die größten organisierten Anbieter arbeiten mit unterschiedlichen Modellen – einer mit freien Dienstverträgen, 11 Euro die Stunde; der andere mit Angestellten, die dem Dienstgeber aber auch im Urlaubs- und Krankheitsfall Kosten aufwerfen. Kropacek wählte jenen mit Freien. Sie schickt gewünschte Zeiten, dann startet das Hoffen.
Was muss geschehen?
Ziel müsse die Verankerung eines Rechtsanspruches auf persönliche Assistenz sein, fordert Kropacek. Die Wahrscheinlichkeit, einen Dienst nicht besetzen zu können und somit alleine zu bleiben, steigt ihrer Einschätzung nach, je dünner ein Landstrich besiedelt ist. Im August hatte sie, als es im Waldviertel nicht mehr ging, drei Wochen in Wien bei den Söhnen verbracht: „Binnen zwei Stunden waren alle Dienste mit sieben verschiedenen Assistenten abgedeckt. Bei uns wäre das unvorstellbar.“ Es brauche Arbeitgebermodelle der öffentlichen Hand mit Dienstverhältnissen, fixen Einkommen und allen Ansprüchen für das Personal.
Was sagen Volksanwalt und Land NÖ?
Volksanwalt Bernhard Achitz: „ Der Markt funktioniert nicht.“
Foto: Photo Simonis, Volksanwaltschaft
Der von Kropacek eingeschaltete Volksanwalt Bernhard Achitz kennt ähnliche Probleme aus anderen Bundesländern. Er bat das Land NÖ um Stellungnahme – und gibt sich damit alles andere als zufrieden: Die Antwort sei etwa gewesen, dass die Bereitstellung des Personals letztlich Sache der Organisationen sei. Achitz sieht das Land hinsichtlich Leistungserbringung in der Pflicht, wenn „der Markt nicht funktioniert. Niederösterreich zahlt einer Organisation 20,50 Euro pro Stunde – damit die Agentur und die persönliche Assistenz auch nachts und an Wochenenden einkaufen zu können, stelle ich mir schwierig vor.“
Aus der Abteilung Soziales und Generationenförderung im Land NÖ heißt es auf Nachfrage, man sei sich des Themas absolut bewusst: „Wir geben unser Bestes, um zu unterstützen und Lösungen herbeizuführen, sind auch mit dem Träger in Kontakt.“ Das Modell sei auf einen Zuschuss, nicht auf eine Ausfinanzierung der Leistung ausgelegt. Das funktioniere insgesamt ganz gut, aber „in manchen Regionen ist es wegen Personalengpässen wirklich schwer“. Als Problem wird auch eine Verästelung der Zuständigkeit zwischen Ländern (Freizeitbereich) und Bund (Arbeit) gesehen – zumal Assistenz mit Einzelfällen begonnen habe, nun aber immer stärker in Anspruch genommen werde. Deshalb werde daran gearbeitet, das Modell auf neue Beine zu stellen und eine bundesweit einheitliche Linie zu finden. Das Ziel fand so auch Einklang ins Regierungsprogramm.
Um das Netzwerk der Selbsthilfegruppe zu erweitern, ersucht Silke Kropaeck um Kontaktaufnahme weiterer Betroffener: silke.kropacek@gmx.at
Persönliche Assistenz – Kampf für Selbstbestimmung und gelebte Lebensqualität
Vor 29 Jahren veränderte ein schwerer Autounfall das Leben der damaligen Friseurin Silke Kropacek grundlegend. Mit 31 Jahren lag sie nach einem beinahe tödlichen Unfall im Krankenhaus bereits totgeschrieben – doch ihr ungebrochener Wille führte sie zurück ins Leben. Heute, trotz massiver Beeinträchtigungen in der Beweglichkeit von Händen und Beinen, kämpft sie seit Jahrzehnten für das grundsätzliche Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Silke Kropacek ist nicht nur Betroffene, sie ist auch Aktivistin und Gründerin der Selbsthilfegruppe „Anders“, die sich für Menschen mit Behinderungen einsetzt.
Ein System an seiner Grenze
Der Alltag vieler Menschen mit Behinderung – und das zeigt auch der Fall Kropaceks – steckt in einem Netz aus strukturellen Defiziten. Wenn effiziente Pflege- und Betreuungssysteme in ländlichen Regionen zusammenbrechen, wird der Zugang zu persönlicher Assistenz zu einem immer größer werdenden Problem. Während in urbanen Ballungsräumen wie Wien zahlreiche Dienste rund um die Uhr organisiert werden können, fehlt es in Regionen wie dem Waldviertel an adäquaten Lösungen. Kropaceks Erfahrung, nächtelang im Rollstuhl ohne Betreuung zu verbringen, wirft ein Schlaglicht auf ein Pflege- und Assistenzsystem, das bereits seit Jahren an seinen Grenzen kämpft.
Der Anspruch auf Selbstbestimmung
Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht – ein Grundsatz, den auch die UN-Behindertenrechtskonvention festschreibt. Für Kropacek ist es eine Frage der Würde: Möchte man in einem Umfeld leben, in dem man über den eigenen Körper und den Alltag selbst bestimmt, oder soll das Schicksal von staatlichen und marktabhängigen Systemen diktiert werden? Der dringende Appell an die Politik, hier endlich verbindliche Rechtsansprüche auf persönliche Assistenz zu verankern, wird dabei zunehmend lauter. Anstatt auf kurzfristige Hilfe zu setzen, plädiert sie für langfristig stabile Strukturen mit festen Dienstverhältnissen in der öffentlichen Hand. Ein solches System könnte nicht nur ihre Lebensqualität verbessern, sondern auch dem wachsenden Bedarf einer alternden Gesellschaft gerecht werden.
Die Realität – Zahlen und Modelle
Der aktuelle Stand der Dinge ist bezeichnend: In Niederösterreich können Anträge auf Unterstützung erst ab Pflegestufe fünf gestellt werden, während aus Sicht der Betroffenen bereits ab Stufe drei Maßnahmen notwendig wären. Kropacek selbst erhält monatlich 270 Stunden zu 22 Euro die über eine Agentur verwaltet wird. Nicht nur, dass die Trägerorganisationen das ganze Geld ihrer Klienten vom Land zur Verwaltung überwiesen bekommen – das kommt schlichtweg auch einer Entmündigung gleich – muss sie von ihrer extrem geringen persönlichen Pension/Unterhalt und dem Pflegegeld, obendrein einen Selbstbehalt von 2,50 € (+ 20% Ust) pro Stunde (+/- 800 € Monat) neben den Fixkosten bezahlen. Das ist wirtschaftlich beim besten Willen unmöglich zu bewältigen und Extraausgaben sind schlichtweg unmöglich.
Das Arbeitgebermodell ist jedoch nur über eine Gewerbeanmeldung mit allen dazugehörigen Kosten möglich. Auch diese Variante hatte sie schon ausprobiert. In der Realität geht sich das finanziell auf den Punkt gebracht einfach nicht aus.
Diese Unterschiede machen den Spagat zwischen wirtschaftlicher Effizienz und einer bedarfsgerechten Versorgung besonders schwierig, vor allem in dünn besiedelten Regionen, wo oft schlicht niemand zur Verfügung steht.
Politische Verantwortung und der Ruf nach Wandel
Der Fall Kropaceks führt vor Augen, dass es nicht nur um eine Einzelfamilie geht – es handelt sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Volksanwalt Bernhard Achitz kritisiert scharf, dass der Markt nicht in der Lage sei, die notwendige Versorgung sicherzustellen. Er fordert vom Land NÖ, sich stärker in die Leistungserbringung einzubringen, wenn die privatisierte Assistenz versagt. Die aktuelle Situation, in der unterschiedliche Verantwortungsbereiche zwischen Bund und Ländern zu Regelungsdilemmata führen, muss dringend neu gedacht werden. Nur durch einen strukturellen Umbau und den Aufbau verlässlicher, bundesweit einheitlicher Lösungen kann das Recht auf Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen zukunftssicher gewährleistet werden.
Schlussgedanken
Silke Kropaceks Lebensgeschichte ist ein eindrucksvoller Appell an Politik und Gesellschaft zugleich. Es gilt, Pflege, Betreuung und persönliche Assistenz nicht als Almosen zu betrachten, sondern als essenzielle Leistungen, die jedem Menschen ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben ermöglichen. Der Ruf nach einem Rechtsanspruch auf persönliche Assistenz ist ein Aufruf zur Umgestaltung eines Systems, das schon viel zu lange nicht mehr den Bedürfnissen der Menschen entspricht. Während sich Kropacek weiterhin unermüdlich für mehr Selbstbestimmung einsetzt, liegt es an uns allen, diesem Beispiel zu folgen und aktiv an einer inklusiveren, gerechteren Zukunft zu arbeiten.
Denkimpuls: Wie können lokale und staatliche Initiativen zusammenwirken, um die Lücke zwischen Anspruch und Realität in der persönlichen Assistenz zu schließen? Welche Best-Praxis-Modelle aus anderen Regionen könnten auch in ländlichen Gebieten umgesetzt werden? Diese Überlegungen laden dazu ein, sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen – denn die Frage nach Selbstbestimmung betrifft uns alle.

Volksanwalt Bernhard Achitz: „ Der Markt funktioniert nicht.“
Foto: Photo Simonis, Volksanwaltschaft
Der von Kropacek eingeschaltete Volksanwalt Bernhard Achitz kennt ähnliche Probleme aus anderen Bundesländern. Er bat das Land NÖ um Stellungnahme – und gibt sich damit alles andere als zufrieden: Die Antwort sei etwa gewesen, dass die Bereitstellung des Personals letztlich Sache der Organisationen sei. Achitz sieht das Land hinsichtlich Leistungserbringung in der Pflicht, wenn „der Markt nicht funktioniert. Niederösterreich zahlt einer Organisation 20,50 Euro pro Stunde – damit die Agentur und die persönliche Assistenz auch nachts und an Wochenenden einkaufen zu können, stelle ich mir schwierig vor.“
Um das Netzwerk der Selbsthilfegruppe zu erweitern, ersucht Silke Kropaeck um Kontaktaufnahme weiterer Betroffener: silke.kropacek@gmx.at
Selbstbestimmte Lebensführung ist Menschenrecht
Verantwortlich sei die Politik, sagt die 60-Jährige, die zum Zeitpunkt des Unfalles mit Gatte und drei Kids in Schrems wohnte, nun alleine in Kirchberg/Walde lebt.
Sie erinnerte Grünen-Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein 2021 via Mail an die UN-Behindertenrechtskonvention, die den Menschen mit Behinderung eine unabhängige, selbstbestimmte Lebensführung zuerkennen, nannte Voraussetzungen***. „Antwort kam keine.“
Kropacek: Das Bedürfnis nach Selbstbestimmung auch im Alter steige, zudem spülen Pensionierungswellen geburtenstarker Jahrgänge Menschen aus dem Arbeitsmarkt, die eines Tages selbst auf Unterstützung angewiesen sein können. Die Nachfrage werde rapide mehr.
Voraussetzungen***
für ein selbstbestimmtes Leben:
Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) erkennt das Recht von Menschen mit Behinderungen an, mit den gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben. Dabei ist unabhängige Lebensführung im Sinne von selbstbestimmter Lebensführung zu verstehen. Es gibt jedoch keinen Rückhalt und Absicherung für uns Menschen mit Behinderung. Die Rahmenbedingungen der Persönlichen Assistenz müssen sich unbedingt ändern.
Dazu gehört unbedingt:
- ein Rechtsanspruch auf Persönliche Assistenz für alle Menschen mit Behinderung
- eine einheitliche Regelung in allen Bundesländern
- ein bedarfsgerechtes persönliches Budget für Assistenzstunden, welches sich individuell an den Menschen mit Behinderung richtet.
- die Möglichkeit und Unterstützung durch Dritte das persönliche Budget in Form des Arbeitgebermodells oder Auftragsgebermodells selbst zu verwalten
- Erleichterung und Entbürokratisierung bei der Antragstellung als freier Dienstnehmer im Sozialbereich als gemeinnützige*r Einzelunternehmer*in mit einer erhöhten steuerfreien Umsatzgrenze
- Den gemeinnützigen und sozial vielfältigen Einsatzbereich der Persönlichen Assistenz öffentlicher machen und interessanter gestalten
- ein Leistungskatalog und eine kostenfreie zentrale Plattform (AMS) mit einer App für Persönlichen Assistent*innen müssen zeitnah geschaffen werden.